Jens Josef (*1967)

Zu meiner Arbeit

In der Tradition der abendländischen Musik erzogen (sowohl als Interpret wie als Komponist) betrachte ich mich als Bewahrer und Fortführer dieser Tradition. Es liegt mir fern, etwas rein technisch »Neues« zu machen. Meiner Ansicht nach ist das »Neue« das »Eigene«. Von dieser Basis aus habe ich versucht, einen persönlichen Stil zu entwickeln, dessen Ausdrucksmöglichkeiten ich mit jedem neuen Stück zu erweitern suche. Denn ebenso wie ich gegen das Neue nur um des Neuen willen bin, so bin ich auch der Meinung, dass Erstarrung der Tod der Kunst ist und ein Künstler (und nicht nur er) immer die Pflicht hat, auf seinem Weg weiterzugehen und klarer und wahrhaftiger zu werden. Ein Prozeß der sich entwickeln muß. Hinzuzufügen ist noch, dass ich kein Freund des Elfenbeinturmes bin. Zum erstenmal ist es wohl in den »rituellen Tänzen« gelungen so etwas wie eine eigene Sprache zu finden. Ich habe versucht, diese in der Folgezeit zu vertiefen und auszubauen. Ich möchte sie mit den Worten romantisch-mystizistisch bezeichnen (romant. Gesänge, Bagatellen). Mit dem »Divertimento« und den »5 Briefen« kommen neue Elemente in meine Musik, sie wird kräftiger, vitaler und, wie mir scheint, auch klarer. Diese Entwicklung erreicht ihren ersten Höhepunkt in den »5 Chansons nach F. Villon«, wozu mich vor allem der sehr vitale und so gar nicht romantisch-sentimentale Text anregte. Die »romantische« Seite kulminiert in den »2 Balladen« und vor allem im »Doppelkonzert«. Ein wichtiges Stück ist die »Ballettsuite«: In ihr vereinigen sich die bisherigen Bestrebungen, und sie führt die zugrundeliegenden kompositorischen Elemente konsequent durch. Dieser konstruktivistische Ausgangspunkt wird im »Konzert für Orchester« entscheidend und prägt die darauffolgenden Stücke Die nächste Station bilden die »Bizzarrerien«, sicher die bis dahin konzentrierteste Partitur. Hier ist eine neue Idee dazugekommen: die Collage.

Collagiert werden hier musikalische Motive, die in einer bestimmten Art zu ihrer Grundsubstanz komprimiert werden. Der Höhepunkt dieser von mir »Skelettierungstechnik« genannten Kompositionsweise ist wohl der »102. Psalm«. Zwei weitere Einflüsse verdienen es noch erwähnt zu werden. Der Einfluss der zeitgenössischen U-Musik und des Jazz, die durch ihre rhythmische Vitalität für mich wichtig sind (Divertimento, Ballettsuite, Bizarrerien, Zehntett, Totentanz) und die Erschließung neuer Musiziertechniken. Letzteres führte mich zu zwei avantgardistisch anmutenden Stücken, nämlich dem »Zehntett« und vor allem der »Musik für Klarinetten und Klavier«, die mir zugleich der erste Syntheseversuch meiner bisherigen Bemühungen zu sein scheint. Ein wichtiges Stück in diesem Zusammenhang dürfte auch die »Fantasie« sein.

Der obige Text behandelt meine Arbeit bis zum Beginn des Jahres 1999, an dieser Stelle deshalb noch nötige Ergänzungen. Seit dem »Totentanz« erwuchs wieder das Bedürfnis nach prägnanteren Motiven und einer konsequenteren Harmonik. Eine Zusammenfassung meiner bisherigen Arbeit sehe ich in dem abendfüllenden Oratorium »Vor langer Zeit«, welches ich mit den kurz zuvor entstandenen »Liebesliedern« als mein wichtigstes Werk betrachte. Das o. e. Bedürfnis nach Klarheit führte schließlich dazu, den reinen Dreiklang- für mich bislang ein abgenutztes Klangmittel – »neu« zu entdecken. Der erste Versuch diesbezüglich ist in einem kleinen Flötentrio, »Orpheus« betitelt, unternommen worden. Es muß an dieser Stelle als wichtige Studie für die große Kammersinfonie gleichen Namens und den »Tango der Schatten« erwähnt werden. In beiden Werken (wobei der Tango auch Teil der Sinfonie ist, jedoch zuerst als eigenständiges Werk konzipiert wurde) ist die Neuentdeckung des Dreiklanges das zentrale Prinzip.

Jens Josef, April 2001

siehe auch das Interview:
Jens Josef : »Das Neue ist das Eigene« von Sibylle Wähnert,
in: Flöte aktuell 2/2001 S. 26ff.